Erkenntnisse und Einschätzungen
Seit 1997 bis 2019 haben wir im Vinschgauer Parkanteil 7.512 Stück Rotwild durch Abschüsse entnommen. Seit wenigen Jahren werden auch Abschüsse in den Mikroregionen Hinterulten und Bormio Valfurva getätigt.
Ein Kernsatz der Ökologie ist jener, dass ein Ökosystem umso stabiler ist, je artenreicher es ist. Dabei ist wichtig, dass die Anzahl der Individuen einer Art nicht aus dem Lot geraten darf, weil dies zu Lasten der Biodiversität geht. Nach 20-jähriger Erfahrung mit den Managementplänen von Rotwild im Nationalpark erlaube ich mir, nachstehend ein paar Erkenntnisse aus meiner Sicht zusammenzufassen:
• Wenn eine große Tierart zahlenmäßig explodiert, dauert es zeitlich länger als erwartet, die erwünschte und ökologisch indizierte Dichte wieder zu erreichen: Die angestrebte Rotwilddichte von 4-5 St./100 ha konnte nicht, wie zu optimistisch eingeschätzt, mit einem ersten und einzigen Mehrjahresplan erreicht werden, sondern erst nach 20 Jahren. Um das Gleichgewicht zu erhalten, bleibt das „Abernten“ des Zuwachses weiterhin notwendig.
• Mit der Reduzierung der Dichte hat sich die körperliche Konstitution des Rotwildes verbessert. Die biometrischen Messparameter am erlegten Rotwild belegen steigende Körpergewichte, gute Konstitution und Fruchtbarkeit sowie Gesundung von Paratuberkulose.
• Der Bergwald erholt sich von den Verbiss-Schäden und kann seiner Nutz- und Schutzfunktion besser genügen.
• Die Schäden an den landwirtschaftlichen Kulturen sind auf ein wirtschaftlich und sozial verträgliches Maß eingegrenzt.
• Mit der Abnahme der Rotwilddichte erholt sich der Rehbestand. Auch für das Auerhuhn als Raufußhuhn ist die weniger stark verbissene Strauchschicht als Beerenlieferant in der Herbstnahrung förderlich.
• Die Beteiligung der und die Zusammenarbeit mit der lokalen Jägerschaft hat sich im Großen bewährt.
• Die Einschätzung und Hoffnung, dass der zurückgekehrte und in seinem Bestand wachsende Wolf als Regulator von Hirschen die Abschüsse durch den Menschen erübrigt, ist meines Erachtens zu optimistisch. Der Wolf wird sehr wohl zu einem größeren Zerstreuungseffekt der Rotwildpopulation in deren Lebensraumnutzung beitragen, nicht aber zu einer signifikanten Verminderung der Bestandsdichte des Rotwildes. Eine unkontrollierte Entwicklung des Wolfbestandes wird die Almbewirtschaftung gefährden. Die extensive sommerliche Bestoßung der Almen ist und bleibt ein wertvoller und wichtiger Beitrag zur Landschaftspflege und zum Erhalt der Biodiversität von Lebensräumen und pflanzlichen und tierischen Arten.
Text: Wolfgang Platter, 16. Jänner 2020