Streuhorter sind zu punktgenauer Navigation fähig
Das hervorragende Orientierungs- und Merkvermögen der Häher haben Nicola Clayton und ihr Forscherteam in Cambridge am Beispiel des Kiefernhähers (Nucifraga columbiana) erhellt.
Der Kiefernhäher ist der nordamerikanische Verwandte des Tannenhähers. Er kommt u.a. in den Rocky Mountains vor. Der Kiefernhäher, auch als „Zeltplatzräuber“ verschrien, sammelt in einem einzigen Sommer mehr als 30.000 Kiefernsamen und kann bis zu 100 Samen zugleich in seinem großen Kehlsack unter der Zunge transportieren. Diese Samen vergräbt er dann in 5.000 verschiedenen Verstecken, die über ein Gebiet von Dutzenden, ja, sogar Hunderten von Quadratkilometern verstreut sind. Und er findet die verstreuten Verstecke später wieder. Kiefernhäher erinnern sich an die Orte ihrer eigenen Lager und fliegen sie direkt an, ohne eine Menge Energie mit einer ungezielten Suche zu verschwenden. Sie verlassen sich fast ausschließlich auf ihr Gedächtnis, wenn sie ihre persönlichen Vorratskammern lokalisieren – und sie behalten sie bis zu neun Monate im Gedächtnis in einer durch die Jahreszeiten veränderten Landschaft.
Edward Tolman (zitiert nach Jenifer Ackerman: Die Genies der Lüfte, Rowolth Taschenbuchverlag 2019) erkannte in den 1940er-Jahren in Labyrinth-Versuchen mit Ratten, dass Säugetiere eine kognitive Landkarte zu ihrer Positionsbestimmung im Kopf haben. Dass auch Vögel eine mentale Karte von ihrer physischen Umgebung herstellen, schloss man aus Versuchen mit Tauben, in denen Tolmans Labyrinth-Tests wiederholt wurden. Manche Vogelarten sind zu punktgenauer, kleinskalierter Navigation fähig. Dazu gehören Zugvogelarten, aber auch die Brieftauben.
Clayton und ihr Team haben festgestellt, dass die Häher nicht nur wissen, wo sie ihren Vorrat versteckt haben und wer ihnen dabei von den Artgenossen zugesehen hat, sondern auch, was sie dort wann versteckt haben. Die Vögel graben ihre verderblichen Vorräte wieder aus, ehe sie verderben, und lassen die haltbaren Nüsse und Samen für später liegen. Auch plündern die Häher einander die Vorratslager, weil sie die Artgenossen beim Verstecken ausspionieren.