Das Schneehuhn
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Das Schneehuhn

Ein Tarnkünstler

Das Alpenschneehuhn ist ein Standvogel aus der Familie der Raufußhühner, der ganzjährig oberhalb der Waldgrenze lebt. Nicht zuletzt wegen seiner weißen Tarnfärbung im Winter gehört es zu den bekanntesten Alpentieren. Die stark befiederten Füße und die Hornsporne an den Zehen sind weitere Anpassungen an den Hochgebirgswinter. Bei Schneefall lassen sich Schneehühner einschneien und profitieren in ihrem „Iglu“ von der Isolationswirkung der Schneedecke.
Mit seinem wissenschaftlichen Namen heißt das Alpenschneehuhn Lagopus muta (vom griechischen lagos = Hase, pous = Fuß und vom lateinischen mutus = stumm), wörtlich übersetzt also „stummer Hasenfuß“. Der Name weist einerseits auf die befiederten Füße hin. Und mutus ist wohl eher die falsche Umschreibung von mutatus. Die Verkürzung mutus für mutatus soll den zweimaligen Federwechsel vom Winter in das Sommerkleid und vom Sommer- in das Winterkleid betonen.

Verbreitung
Die Gattung Schneehühner (Lagopus) kommt weltweit mit drei Arten vor: Moorschneehuhn (Lagopus lagopus, Linaeus, 1758), Amerikanisches Alpenschneehuhn (Lagopus leuchurus, Richardson, 1831) und Alpenschneehuhn (Lagopus muta, Montin 1776). Das Alpenschneehuhn ist eine nordische Vogelart, die nach den Eiszeiten in den Bergen der Alpen ein südliches Rückzugsgebiet gefunden hat. Es ist eurasiatisch verbreitet und kommt in 23 Unterarten vor. Unser Schneehuhn der Alpen ist die Unterart Lagopus muta helveticus. Sein Verbreitungsgebiet reicht im Süden bis zu den ligurischen Seealpen, im Norden bis nach Bayern und im Osten bis in die Steiermark. Die italienische Population der Alpenschneehühner wird von Fachautoren auf 7.000 - 10.000 Paare geschätzt.
Im Nationalpark Stilfserjoch kommt das Schneehuhn in allen drei Länderanteilen vor.

Schutzstatus
Das Alpenschneehuhn ist eine Natura 2000-Art und in der Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft in der Anlage II/2 aufgelistet. Außerhalb des Nationalparks und der Schutzgebiete ist das Schneehuhn in Italien als jagdbare Tierart eingestuft. Im Gebiet des Nationalparks Stilfserjoch wird der Erhaltungsstatus der Art als ungünstig bis schlecht eingestuft.

Lebensraum und Lebensweise

Das Alpenschneehuhn ist ein typischer Bewohner der alpinen und nivalen Stufe oberhalb der Waldgrenze bis über 3.000 m SH. Sein Brutgebiet reicht von 1.800 – 2.700 m. Bei Beobachtungen in höheren Lagen ab Juli handelt es sich um Hähne oder nicht brütende Hennen. Bevorzugte Lebensräume sind die blockübersäten Halden und windapere Grate. Jahreszeiten bezogen wechselt das Schneehuhn von Winter- in Sommereinstände und umgekehrt, um an die Nahrung heranzukommen. Das Schneehuhn ist tagaktiv. Zunehmend häufiger wird es von Skitourengehern gestört und erleidet durch wiederholte Flucht empfindliche Energieverluste in der nahrungsknappen Winterzeit.
Ernährung
Das Alpenschneehuhn ist ein fast reiner Vegetarier. Im Frühjahr suchen die Schneehühner die früh ausapernden Südhänge zur Nahrungsaufnahme auf. Dort treiben die Zwergsträucher früher aus und die frischen Knospen haben den höchsten Nährwert und Eiweißgehalt. Im Sommer suchen die Hühner die Nordhänge auf, auch weil ihr Kälteschutz so gut ist, dass in heißen Sommern für sie die hohen Temperaturen eher zum Problem werden. Gegen den Herbst hin suchen die Schneehühner die Schneetälchen mit Zwergsträuchern und deren Beerenfrüchten auf. Beeren liefern ihnen Zucker und die Samen Eiweiß. Im Winter suchen die Schneehühner auf den windaperen Graten nach der kargen Nahrung aus ledrigen Blättern und Knospen von Zwergsträuchern wie der Gämsheide (Loiseleuria procumbens) und Zwergweiden (Salix spec.). Giovanni Scherini (2001, I Gallifirmi Alpini nel settore lombardo del Parco Nazionale dello Stelvio) hat in der Lombardei den Mageninhalt von 200 Alpenschneehühnern untersucht und die Diät zwischen Sommerende und Winteranfang aufgeschlüsselt: Mineralstoffe 3% des Trockengewichtes. Steinchen zwischen 2-5 mm werden als Mahlsteine zur Verdauungshilfe aufgenommen. Bevorzugt sind es magensäureresistente Quarzite. Tierische Ernährung: Mit 0,5% Trockengewicht ist sie vernachlässigbar gering. Die pflanzliche Ernährung macht 96%. Blätter und Samen enthalten durchschnittlich 15% Eiweiß. Sie werden ganzjährig gesucht. Beeren hingegen haben hohen Zuckergehalt. Die Winternahrung besteht vor allem aus Zweigen und Knospen der Zwergweiden-Arten mit einem Eiweißgehalt von 12%. Weiden enthalten in der Rinde und den Blättern Salicylsäure. Diese hat eine keimhemmende Wirkung und schützt die Schneehühner vor Darminfektionen.

Der Federwechsel
Der mehrmals jährlich erfolgende Wechsel des Federkleides ist die auffälligste Anpassung des Schneehuhnes an seinen deckungslosen Lebensraum. Tarnung durch Farbanpassung an den Untergrund heißt die Überlebensstrategie gegen Beutegreifer. Der Federwechsel ist ein hormonell gesteuerter Prozess, der vorwiegend von der Tageslänge beeinflusst wird, aber auch von der Anwesenheit von Paarungspartnern abhängt. Die Mauser in das Winterkleid beginnt Mitte Oktober und ist Mitte November abgeschlossen. Sie ist eine Teilmauser, weil die Arm- und Handschwingen an den Flügeln und die Steuerfedern am Schwanz nicht getauscht werden. Der Wechsel in das Balzkleid im Frühjahr ist ebenfalls eine Teilmauser, die bei beiden Geschlechtern bis Anfang Juni abgeschlossen ist. Ab dem Ende der Brutzeit Mitte Juli erfolgt ein Wechsel in das Sommerkleid. Dieser Federwechsel in die erd- und gesteinsfarbene Tarnfarbe ist eine Vollmauser. Sie betrifft auch die Hornteile an Schnabel und Zehen. So werden im Sommer die Hornplättchen an den Zehen zurückgebildet.
Fortpflanzung
Schneehühner bilden Saisonspaare am Ende des Gebirgswinters. Die Weibchen wählen den Hahn mit den auffälligsten Balzrosen, dem schönsten Fächerschwanz oder dem eindrucksvollsten Balzgesang. Die Balz beginnt im Mai. Ab der Paarbildung wird das Brutterritorium verteidigt. Das Nest ist eine einfache Bodenmulde im offenen Gelände oder an einem Stein oder Strauch. Die Eiablage erfolgt in der ersten Junidekade. Das Gelege umfasst 5-8, selten bis 10 Eier. Deren Färbung ist variabel, meist strohgelb mit dunkelbraunen Flecken. Die Brutdauer beträgt 22 Tage, die Bebrütungstemperatur 41° C. Die Jungen sind Nestflüchter, die sich durch stimmfühlungslaute beim Schlupf synchronisieren. Wenige Stunden nach dem Schlupf folgen sie der Henne, die eine beachtliche Fülle von Stimmfühlungslauten zum Führen des Gesperres besitzt. Die ersten 15 Lebenstage sind für die Küken eine sehr kritische Periode. Noch nicht flugfähig, sind sie der Kälte und Nässe bei Schlechtwettereinbruch und den Beutegreifern stark ausgesetzt. Giovanni Scherini setzt die Überlebensrate der Küken auch bei Ausbleiben widriger Wetterverhältnisse bei maximal 40% der gelegten Eier an. Im Oktober lösen sich die Bruten auf und es bilden sich neue Überwinterungsgruppen. Diese neue Gruppenbildung ist für die genetische Variabilität wichtig.

Fraßfeinde und andere Gefahren
Unter den erwachsenen Schneehühnern schlagen Steinadler und Wanderfalken zu. Kolkrabe und Eichelhäher suchen nach Eiern und Nestlingen. Von den Säugern dezimieren Fuchs, Steinmarder und Hermelin die Bruterfolge. Durch fotografische Aufnahmen nachgewiesen ist der relativ unbekannte Eierfraß durch Murmeltiere.
Eine kritische Zeit für die Schneehühner ist der Winter. Bei widrigem Wetter scharren sie Schneeiglus, in die sie sich zum Kälteschutz lange Abschnitte des Tages zurückziehen. Für die Nahrungsaufnahme bleiben wenige Tagstunden. Bei Störung z.B. durch Skitourengeher fliegen sie auf und erleiden empfindliche bis lebensbedrohliche Energieverluste. Wer den Schneehühnern im Winter helfen will, sollte als Wintersportler ihre Ruhezonen respektieren. Gipfel- und Gratbereiche im Lebensraum der Schneehühner sollten bis etwa 10.00 Uhr und ab 16.00 Uhr störungsfrei bleiben.


Text: Wolfgang Platter 04.11.2019

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